Hat die die päpstliche Enzyklika eine politische Wirkung?

Dieser Frage ging der Ortsverband in seiner letzten Sitzung nach. Zunächst stellte Bernd Schweisthal das päpstliche Lehrschreiben „Laudato Si“ in groben Zügen vor. Benannt ist es nach dem Sonnengesang des Franz von Assisi, für den jedes Lebewesen ein Geschöpf Gottes, Bruder oder Schwester des Menschen, und die Erde die Mutter all dieser Lebewesen war. Bereits Paul VI. beklagte in seiner Enzyklika „Pacem in Terris“ die rücksichtslose Ausbeutung der Natur durch den Menschen, ähnliche Äußerungen finden sich bei Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Keiner von ihnen sprach jedoch so deutlich ganz konkrete Folgen dieses menschlichen Handelns an wie Franziskus: Er geißelt Umweltverschmutzung und Klimawandel, mangelnden Zugang zu sauberem Wasser, den Verlust der biologischen Vielfalt und ganzer Ökosysteme, die Verschlechterung der Lebensqualität und den sozialen Niedergang u.a. durch zunehmende Verstädterung, sowie die weltweite soziale Ungerechtigkeit. Statt dagegen rigoros vorzugehen, unterwerfe sich die Politik dem Diktat von Technologie und Finanzwelt. Die Wurzel der ökologischen Krise sieht der Papst im Menschen, dem Wissenschaft und Technik (u.a. Nukleartechnik, Biotechnologie) eine unglaubliche Macht verliehen haben. Dabei ist Franziskus nicht technologiefeindlich; er warnt jedoch, dass eine von der Ethik abgekoppelte Technik schwerlich in der Lage sein werde, sich im Angesicht des Machbaren auf das ethisch Vertretbare zu beschränken. Ökologie ist für Franziskus ganzheitlich; neben Naturschutz gehören auch menschliche und soziale Dimensionen dazu. In diesem Zusammenhang macht er sich z.B. Gedanken über die moderne Stadtentwicklung und beklagt Wohnungsnot ebenso wie den zunehmenden Verlust von guter, solidarischer Nachbarschaft. Im Kapitel „Leitlinien für Orientierung und Handeln“ kritisiert Papst Franziskus die Untätigkeit und den mangelnden Willen der internationalen Politik, die Missstände wirkungsvoll und nachhaltig zu beheben, und macht in einzelnen Punkten ganz konkrete Lösungsvorschläge. Am Ende seiner Enzyklika ruft Franziskus zu einer ökologischen Erziehung (mit sehr konkreten Hinweisen bis hin zum Verzicht auf Plastik und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel) auf und fordert eine Bewusstseinsänderung auf der Grundlage der christlichen Spiritualität. „Weniger ist mehr“, so lautet für ihn das Motto eines neuen, bescheideneren Verständnisses von Lebensqualität, in deren Mittelpunkt die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde steht.
Nachdem einzelne Punkte der Enzyklika kritisch diskutiert oder präzisiert worden waren, beschäftigte die Anwesenden vor allem die Frage, welche Wirkung dieses päpstliche Lehrschreiben innerhalb, vor allem aber auch außerhalb der katholischen Kirche entfalten kann. Es wurde vermutet, dass der Zeitpunkt seines Erscheinens bewusst einige Monate vor der nächsten Weltklimakonferenz im Dezember 2015 in Paris gewählt wurde. Dennoch war man sich schließlich einig, dass diese päpstliche Stellungnahme zwar den umweltpolitisch Aktiven ein weiteres Argument liefern, die globale Politik und Wirtschaft sich jedoch nicht nennenswert davon beeindrucken lassen wird. Und ob sich die katholische Kirche vom Vatikan bis in ihre Gemeinden hinein an der Enzyklika orientieren wird, bleibt für manche der Anwesenden ebenfalls fraglich. Zu wünschen wäre es jedenfalls.

jgm